Freitag, 1.6.2007
Schon seit längerem hatte ich vor, mir den Potsdamer Stadtteil Hermannswerder anzuschauen, was bislang immer an seiner schlechten Erreichbarkeit (nur alle 20 Minuten fährt ein Bus dorthin) gescheitert war. Diesmal erwischte ich aber glücklicherweise rechtzeitig den Bus am Hauptbahnhof und gelangte so zu der kleinen, mir bislang gänzlich unbekannten Halbinsel in der Havel.
Meine Erkundung begann recht ernüchternd, denn die Gegend um die Endhaltestelle war alles andere als schön: Die beiden Inselarme Küssel und Tornow bestanden nur aus je einer schmalen Straße, die links und rechts von Einfamilienhäusern gesäumt war. Hier zeigte sich einmal wieder der große Mangel dieser Wohnform: Die Parzellierung und Einzäunung der Grundstücke führt dazu, dass jedem nur ein winziges Stückchen Bewegungsraum zur Verfügung steht. An sich wäre diese Gegend perfekt, um Uferspaziergänge zu machen, aber da das gesamte Ufer unter die einzelnen Grundstücksbesitzer aufgeteilt ist, kann jeder von ihnen nur ein paar Meter davon nutzen. Zwischen den Häusern, Bäumen und Hecken sah ich immer wieder die Wohnhochhäuser am gegenüberliegenden Ufer aufscheinen, und ich bin mir sicher: Wenn ich hier wohnen würde, würde ich ständig sehnsüchtig nach drüben schauen und von den dortigen weitläufigen Wiesen träumen, auf denen man sich frei bewegen kann.
Das Ortszentrum war dann schon um einiges freundlicher. Fast sämtliche Gebäude hier sind aus Backsteinen gebaut, und ihre Proportionen (extrem hoch bei verhältnismäßig geringer Breite) lassen mich architektonisch Halbgebildeten vermuten, dass es sich hier wohl um Backsteingotik handelt. Die ruhige Wasserlage, das viele Grün und ein verlassener Wasserturm erzeugen eine eigentümlich romantische Stimmung. Die Bebauung ist geprägt durch die Hoffbauer-Stiftung, die hier zwischen 1891 und 1911 eine Schule, ein Krankenhaus u. ä. errichtete, die heute allesamt in kirchlicher Hand sind. Überhaupt scheint es, als wäre diese Gegend, nicht zuletzt dank der relativ isolierten Lage, eines der wenigen Wohngebiete mitten in Ostdeutschland, in denen Kinder in völliger kirchlicher Prägung aufwachsen können – eine unangenehme Vorstellung.
In der Nähe der Schule folge ich einem Trampelpfad ans Ufer, wo offenbar findige Jugendliche zwei Holzblöcke als Sitze hinterlegt haben. Auf dem Boden liegen leere Orangensaft-Tetrapäckchen und M&M’s-Tüten. In Berlin hätte ich an solch einer Stelle wohl Zigarettenstummel gefunden. Ich muss lächeln; hier scheint es tatsächlich noch klassische Fünf-Freunde-artige Jugendgruppen zu geben, und ich stelle mir vor, wie örtliche Erwachsene die junge Detektivgruppe beauftragen, den Fall des verschwundenen Apfelkuchens aufzuklären. Am westlichen Ende der Insel will ich durch eine verwilderte Wiese ans Ufer gehen, halte aber inne, als ich an einem Busch ein unidentifizierbares Kleidungsstück hängen sehe und dahinter Gekicher höre. Da ich der Jugend hier inzwischen jedes Klischee zutraue, vermute ich Schulkinder, die sich in der großen Pause zum Nacktbaden hierher begeben haben, und kehre schleunigst um, um eine peinliche Situation zu vermeiden.
Alles in allem ist die dörfliche Idylle zwar zeitweise ganz hübsch, aber auf Dauer doch schwer auszuhalten, und so bin ich froh, als ich an eine Fähranlagestelle komme. Ich besteige die Fähre zum gegenüberliegenden Neubaugebiet Auf dem Kiewitt und bin endlich wieder zurück in meiner Welt.
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