Samstag, 2. Februar 2008

Steinerne Tierwelt und bronzene Menschenwelt

Die Träume der Künstler vergangener Jahrhunderte, die romantischen Vorstellungen vom Gesamtkunstwerk ... waren nicht mehr Utopie. Getragen vom Wissen um die gesellschaftlichen Bedingungen und Funktionen der Kunst, wurden diese Vorstellungen realisierbar auf der Grundlage der Einheit von Leben und Kunst bei der Gestaltung unserer sozialistischen Umwelt ... Hierdurch erhält die Kunst wieder ihren ursprünglichen Sinn und hat teil am gesellschaftlichen Leben, das sie ihrerseits formen hilft.

- Wolfgang Hütt: Wir und die Kunst (1977)


In der dritten Folge der gestern begonnenen Strausberg-Reihe soll es wieder etwas weniger um Politisches und mehr um Küstlerisches gehen. Dabei kann es aber nicht um einen Gegenstandswechsel, sondern nur um eine andere Akzentuierung des Gegenstands gehen, denn schließlich lässt sich kein Kunstwerk begreifen ohne Kenntnis der gesellschaftlichen Voraussetzungen, unter denen es entstand und zu denen jedes Werk in irgendeiner Weise Stellung nimmt.


Bereits gestern abend wurde ein Stück Kunst aus dem Strausberger Wohngebiet Hegermühle behandelt, und es lohnt, noch ein paar Worte mehr zu diesem Viertel zu verlieren. Ein Blick aufs Satellitenbild via Google Earth zeigt die klug geplante Anlage in mäandernden Wohnblöcken, die von außen über eine Autostraße und von innen durch einen von viel Grün gesäumten Fußweg erschlossen wird. So kann man fast das gesamte Gebiet durchschreiten, ohne auf den Straßenverkehr achten zu müssen, kann aber trotzdem seine Wohnung auch mit dem Auto gut erreichen. Durch die verschobene Anordnung der Bauten bietet sich außerdem nach jeder Kurve ein neuer Anblick, und die Verwendung verschiedener Kunstgattungen im öffentlichen Raum lässt, obwohl es die Siedlung ganz offensichtlich für Familien mit größerem Ruhebedürfnis geschaffen wurde, keine Langeweile aufkommen.


„Kunst im öffentlichen Raum“ kann aber nicht einfach nur bedeuten, dass man Kunstwerke auf einen Stadtplatz stellt. Das Genre verlangt dem Künstler Anderes ab als bei einem Gemälde oder einer Statue, die in einer Galerie ausgestellt werden. Der Künstler muss hier nämlich nicht nur ein einzigartiges Werk schaffen, sondern eines, das in sinnvoller Beziehung zu seiner Umwelt steht. Das Kunstwerk befindet sich nicht nur im öffentlichen Raum, sondern es fügt sich in einen spezifischen Ort ein, ist ein Teil von diesem und macht eine Aussage über ihn. Der Künstler muss sich also Gedanken machen darüber, an welchem Ort sein Werk stehen soll, welche Gebäude und anderen Merkmale (Straßen, Grünanlagen, natürliche Beschaffenheit des Geländes) den Ort bestimmen, was die Funktion des Ortes für die unmittelbare Umgebung sowie für die Stadt als Ganzes ist und was er selbst über diesen Ort äußern will.




Das Standbild des gestiefelten Katers, das der Kindertagesstätte „Spatzennest“ Am Marienberg beigeordnet ist, löst diese Aufgabe noch in relativ konventioneller Weise: Der Zusammenhang zwischen Märchenfigur und Kinderhort ist leicht zu durchschauen, und obwohl die Figur hübsch gestaltet ist, geht sie in ihrer geringen Größe vor der breiten Gebäudefront doch ein bisschen verloren und wird durch die ungenügend gestutzten Bäume und Sträucher noch zusätzlich versteckt.




Schon origineller ist da der Platz vor einer anderen Kindertagesstätte definiert („Tausendfüßler“, Am Herrensee). Der kleine Seehund schaut direkt auf den Eingang und scheint auf ihn zuzurobben. So ist er einerseits Begleiter der Kinder auf ihrem Weg in den Kindergarten und begrüßt sie andererseits, wenn sie wieder zur Tür herauskommen. Eine ähnliche Situation wurde in diesem Blog schon einmal vorgestellt: Die Eisbärenmutter vor der Karl-Kollwitz-Klinik in Berlin.






Das Beste aber kommt nicht nur in diesem Beitrag, sondern auch in Hegermühle zum Schluss; zumindest, wenn man das Wohngebiet (was ratsam ist) von Süden nach Norden durchquert. Am Ende bricht die Mäanderstruktur auf und gibt den Blick frei auf einen weiten Platz, der nur mit wenigen Punkthäusern bebaut ist. Inmitten dieser Bauten, auf einer großen Wiese, steht der Bronzeakt einer mit angezogenen Knien sitzenden, zufrieden und entspannt in die Sonne blinzelnden Frau, der genau den richtigen Ausdruck des Gefühls der Weite und Ruhe, die einem der Spaziergang und sein Abschluss auf diesem Platz bieten, vermittelt. Das dem Ort angemessene Gefühl nicht nur selbst zu spüren, sondern in einem Kunstwerk vergegenständlicht zu sehen, das ist es, was Kunst im öffentlichen Raum in ihren besten Momenten leisten kann.

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