Montag, 28. Mai 2007

Ein Ausflug nach Leipzig

Freitag, 23. bis Sonntag, 25.3.2007


Schon seit längerem hatten wir geplant, gemeinsam eine Reise zu unternehmen. Nachdem das ursprünglich geplante Ziel Usti Nad Labem sich als zu zeit- und geldaufwändig erwies, fuhren wir letztendlich nach Leipzig. Ich war vor einigen Jahren schon einmal da gewesen, als ich noch überlegte, dorthin zu ziehen, hatte jedoch aufgrund des regnerischen Wetters und meines damals noch fehlenden Interesses an Architektur, Städtebau und realsozialistischer Geschichte nicht viel von der Stadt mitbekommen.


Dank der schnellen und billigen Interconnex-Verbindung kamen wir früh morgens bei strahlendem Sonnenschein am Hauptbahnhof an. Ich war hier schon mehrmals umgestiegen, aber erst jetzt nahm ich wahr, wie imposant die riesige Halle dieses Kopfbahnhofs ist.


Mit der Straßenbahn fuhren wir in die Südvorstadt zu einem Bekannten, der uns dankenswerterweise angeboten hatte, bei ihm unterzukommen. Die Wohnung befand sich in einem merkwürdigen Backsteinhauskomplex, der an eine alte Fabrik erinnerte, und war gut geschnitten und geschmackvoll eingerichtet. Er war sehr zuvorkommend, überließ uns ein Zimmer mit großem Bett und Fernseher und frühstückte gleich mit uns.


Gleich nach dem Frühstück unternahmen wir unseren ersten Ausflug, der uns in die Stadtmitte führte. Glücklicherweise hatte ich mir einen Tag vor unserer Abreise den Architekturführer DDR – Bezirk Leipzig gekauft, sonst hätte ich mich wohl kaum ausreichend zurecht gefunden, denn das Zentrum war wegen der größtenteils erhaltenen vorsozialistischen Stadtstruktur teilweise sehr unübersichtlich, und hinter jeder Ecke lauerte wieder ein interessantes Gebäude oder eine schöne Statue, die betrachtet sein wollten. Besonders hatte es mir der Karl-Marx-Platz (heute Augustusplatz) angetan, der von dem wirklich unglaublichen Gewandhaus, dem Universitätshochhaus und dem alten Schauspielhaus bestimmt wurde, sowie die dahinter liegende kleine Grünanlage mit dem Schwanenteich, an dessen Nordostecke ein Wohnhochhaus mit sich drehendem Messelogo auf der Spitze steht.


Am Samstag nahmen wir die vorher durch den Regen unterbrochene Route wieder auf und gingen durch das Alte Messegelände, vorbei am beeindruckenden, aber sehr verfallenen Sowjetischen Pavillon, zum Denkmal der Völkerschlacht von 1813. Auch hierfür fällt mir kein besseres Wort ein als „beeindruckend“, obwohl „beängstigend“ es wohl auch träfe. Die ganze Anlage vermittelt einem das Gefühl, als Einzelner klein und verloren zu sein und nur als Teil des nationalen Kollektivs wirklich einen Lebenssinn zu haben. Als Leipzig noch sozialistische Großstadt war, wurde diese Wirkung abgemildert durch die Gestaltung der auf das Denkmal zuführenden Straße des 18. Oktober mit ihren Wohn- und Gesellschaftsbauten. Jetzt aber, nachdem die Stadt Teil des neuerstandenen Großdeutschland ist, wirkt das Mal umso unheimlicher.


Dass in Leipzig, welches 1989 eines der Zentren der Konterrevolution war, der Antikommunismus auch heute noch um einiges stärker verbreitet ist als in anderen Städten, merkte ich auch am Südfriedhof, dessen Hauptachse früher Denkmäler für wichtige Etappen der Geschichte der Arbeiterbewegung säumten, unter anderem für die gefallenen Gegner des Kapp-Putsches. Heute sind diese verschwunden und durch ein Schild ersetzt, das die DDR dafür anprangert, dass in ihr der Staat „selbst vor Friedhöfen nicht Halt machte“.


Unser Weg führte weiter vorbei an verschiedenen Neubaukomplexen im Südosten. In Marienbrunn aßen wir in einem Dönerimbiss Schnitzel und sahen uns irgendeinen Bollywoodfilm an, der nebenher auf dem Fernseher lief. Die Angestellten hatten große Schwierigkeiten, unseren Bestellungen nachzukommen, da ihre Chefin gerade nicht im Hause war und sie keine Ahnung von der Angebotsstruktur des Ladens hatten. Das Schnitzel war jedoch enorm groß und sehr lecker, so dass wir gestärkt waren für den weiteren Weg. Dieser führte uns in den Wohnkomplex „Johannes R. Becher“ in Lößnig, der an einem künstlichen See am Stadtrand gelegen ist. Am Ufer fanden wir bei einer kleinen Pavillonanlage schöne, sehr freizügige Aktskulpturen, die dem Wetter und dem Ort angemessen waren.


In Dölitz schließlich gingen wir durch einen weiteren in industrieller Bauweise entstandenen Komplex, sowie durch die interessant angeordnete 20er-Jahre-Wohnanlage „Rundling“. Der Genuss wurde jedoch leider dadurch getrübt, dass eine freistehende Reliefgruppe, bei der die Teile, die man nicht herausgebrochen hatte, schlimm beschmiert waren, den heutigen Zustand des Wohngebietes ganz gut zusammenfasste, und dass einer der Trinker am Konsum-Markt (solche gibt es in Leipzig noch vermehrt) in eine Reichskriegsflagge gewandet war. Mein Versuch, die Mühe des antifaschistischen Kampfes mit einem Anruf auf die Polizei abzuwälzen, scheiterte an den Bestimmungen des Gesetzes, die den Gebrauch dieser Fahne nicht verbieten. Da ich kein Interesse hatte, den Helden zu spielen, zogen wir unverrichteter Dinge weiter über die Stadtgrenze nach Markkleeberg. Hier kamen wir auf das ehemalige Gelände der Landwirtschaftsmesse „Agra“, das heute nur noch als Veranstaltungsort und Landschaftspark dient. Beim langen Fußweg zurück in die Südvorstadt merkten wir erst, wie weit wir uns schon von Leipzig entfernt hatten.


Auf dem Rückweg kauften wir in einem Supermarkt am Connewitzer Kreuz, dessen Kundschaft mindestens zur Hälfte aus minderjährigen betrunkenen Anhängern linksalternativer Subkultur bestand, ein bisschen Essen und kochten später in der Wohnung eine Kartoffel-Bananen-Currysuppe, mit der wir uns auch bei unserem Gastgeber ein wenig revanchieren wollten.


Da in der Nacht zum 25. die Uhren auf Sommerzeit umgestellt wurden, und da wir morgens ausgedehnt frühstücken wollten, kamen wir an unserem letzten Tag erst gegen eins aus dem Haus. Im Hauptbahnhof kaufen wir Abschiedsgeschenke für unseren Gastgeber und gebackenes Huhn mit Nudeln, das wir am Schwanenteich verzehrten. Unseren Plan, den Zoo zu besuchen, gaben wir angesichts des horrenden Eintrittspreises von zehn Euro auf und lustwandelten stattdessen im Kulturpark „Clara Zetkin“. Die Enten und Schwäne quakten, die Sonne strahlte, und wir aßen in der Parkgaststätte Mandelkuchen. Es war ein würdiger Abschluss für dieses schönen Urlaub. An der Pferderennbahn vorbei ging es zurück in die Wohnung, wo wir unsere Sachen packten und uns verabschiedeten.


Der Weg zum Bahnhof brachte noch ein Drama zum Ende: Da die Zeit bis zur Zugabfahrt knapp bemessen war und die Straßenbahnen sonntags nur in langen Intervallen fuhren, schlug ich vor, zum Bahnhof zu laufen, was sich natürlich als komplette Schnapsidee herausstellte. Abgehetzt und gerade noch rechtzeitig standen wir auf dem Bahnsteig, nur um zu sehen, dass der Zug sich verspäten würde. Auf der Rückreise saßen wir entgegen der Fahrtrichtung, so dass wir noch ein letztes Mal die Stadt betrachten konnten.


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